Skitourenwoche Wildstrubel
13. - 18. April 1980
Den längsten Tourenbericht meiner langen Bergsteigerlaufbahn habe ich anlässlich der Skitourenwoche Wildstrubel mit der JO-Mythen geschrieben. Ich war damals Kanti-Schüler in Schwyz und habe den Bericht für das JO-Blättli verfasst. Kürzlich habe ich den handschriftlichen Originaltext in meinen Tagebüchern gefunden.
Bevor ich mich daran begebe, unsere Erlebnisse der diesjährigen Skitourenwoche mit dem Schreibeisen noch einmal nachzuvollziehen, will ich einige Persönlichkeiten besonders erwähnen, welche durch ihr Verhalten immer wieder zur allgemeinen Erheiterung beizutragen vermochten, und welchen es immer gelang, an zivilisierten Orten die Aufmerksamkeit der neugierigen Menge auf sich zu ziehen. Wir verdankten unsere ständige heitere Stimmung grösstenteils einem Herrn aus „v’Illgau“ (Winterseite) und einem Herrn, von dem bekannt ist, dass er Mitglied des KCG (Kletter-Club-Gurgen) ist und der sich durch einen kürzlichen Wechsel von Wohnort und Beruf genötigt sah, mit grossem Eifer seine Italienischkenntnisse zu vertiefen und welchem es durch Höhenluft und geeignete pädagogische Betreuung spielend gelang, während der kurzen Periode von einer Woche, sich ein ungeheures und beneidenswertes Vokabular anzueignen. (Man beachte, dass ich anständigerweise stets bemüht bin, Angaben zu vermeiden, welche auf den werten Namen des Erwähnten schliessen lassen.) Die nächste erwähnenswerte Persönlichkeit rühmt sich aus Schwyz und hat sich durch seine hoffnungsvollen Bemühungen ausgezeichnet, eine neue „Gehtechnik“ zu erarbeiten, welche es nach genügender Ausreifung ermöglichen würde, den Gipfel spielend im Flug zu erreichen (vgl. Skizze). Auf die Tatsache, dass der Stand dieser Technik bereits ein unerhört hohes Niveau erreicht hat und dass sie sich in der Praxis bereits bewährt hat, kommen wir bei der Schilderung eines seltsamen Ereignisses später noch zurück. Und nun zur Sache.
Sonntag, 13. April 1980
Schon lange lachte die Sonne aus strahlend blauem Himmel, als wir uns am Bahnhof Goldau trafen, wo Werner mit grossem Gerechtigkeitssinn das Gemeinschaftsmaterial verteilte. Auf der mehrstündigen Bahnfahrt unterliess es Sebi nicht, allfällige Passanten mit einem herzlich gemeinten „Johnporno“ zu begrüssen (Achtung: Richtige Aussprache ist unbedingt zu beachten). Nach einer kurzen Glacepause in Frutigen bestiegen wir einen zweistöckigen Bus, welcher uns nötigte, uns durch das Betätigen des Halteknopfes die drohende Kontaktlosigkeit zwischen beiden Stockwerken vorbeugend zu überbrücken, was uns aber in eine Konfliktsituation mit dem Buschauffeur brachte. Mit einem Kleinbus und einer Luftseilbahn gelangten wir um die Mittagszeit auf die Engstligenalp, verpflegten uns dort und verliessen, nachdem wir uns durch eine drängende Menschenmenge gewühlt hatten, per Skilift und dann zu Fuss in Richtung Chindbettipass die letzten Reste der zivilisierten Welt. Auf der Abfahrt zur Lämmerenhütte wurden bereits die ersten „Sambamelks“ vorgeführt, von welchen wir diese Woche noch manche meisterhafte Ausführung zu sehen bekommen sollten. Froh, das heutige Ziel erreicht zu haben, quartierten wir uns in unserem Raum ein und begannen uns bald wohlzufühlen. Der erste Hüttenabend wurde durch einige leider nicht ganz konzertreif vorgetragene Liedchen verschönert. Schon bald nachdem wir uns zur Nachtruhe (?!?) begeben hatten, traten Sebis Probleme mit seiner Schlaflosigkeit zu Tage, wonach er nur einzuschlafen im Stande ist, nachdem ihm durch eine mütterliche Stimme ein sanftes und beruhigendes Geschichtlein zu Gemüte geführt worden ist. Leider verfehlte Christa zum Teil passende Themen, so dass die Geschichtlein bisweilen das Gegenteil bewirkten und Sebi durch anhaltend unruhigen Schlaf stark benachteiligt war, was durch seine immerzu wortkarge und stille Art zum Ausdruck kam……..
Montag, 14. April 1980
Beim Morgenessen zeigte es sich, dass auch Andy unter starken Schlafstörungen zu leiden hatte: Er äusserte nämlich grösste Bedenken bezüglich des anhaltenden Hundewetters (er hatte sich eben die Augen noch nicht ausgerieben) und meinte müde, ob man sich denn nicht gescheiter noch einmal in die Schläge verziehen sollte. Doch wir liessen uns nicht beirren und schon bald wanderten wir bei strahlendem Sonnenschein dem Wildstrubel entgegen, heute unter der Führung des Hüttenwartes, auf den sich die frische Morgenluft nun scheinbar doch beruhigend ausgewirkt hatte.
Einige Stunden später schüttelten wir uns auf dem Gipfel die Hände und genossen das herrliche Panorama, vor allem auf die Walliser Alpen. Nach einer gemütlichen Rast rüsteten wir uns für eine herrliche Abfahrt und nahmen darauf den Gegenanstieg zum Steghorn in Angriff. Nach der Mittagsrast auf dem Gipfel hatten wir erneut eine Abfahrt vor uns und nur zu schnell waren wir wieder im Tal angelangt. Mit einem abschliessenden heissen Hüttenanmarsch verdienten wir uns ein kühles Bier und genossen dann faulenzend den Rest dieses herrlichen Tages.
Dienstag, 15. April 1980
Der heutige Tag begann mit einer Abfahrt auf den Lämmerenboden. Bei nicht mehr ganz schönem Wetter nahmen wir aber trotzdem den Anstieg auf das Daubenhorn in Angriff. Auf dem Gipfel offerierte sich uns ein herrlicher Tiefblick auf Leukerbad. Nach der Gipfelrast lag die wohl schönste Abfahrt dieser Woche vor uns. Pulverschneehang um Pulverschneehang ging es in kühnen Schwüngen, abgewechselt von eleganten und abkühlenden „Sambamelks“, talwärts. Wieder auf dem Lämmerenboden betrachteten wir voller Stolz die schönen Spuren, welche wir im Tiefschnee hinterlassen hatten. Obwohl es sich wahrscheinlich nur um einige Zürcher und andere Barbaren handelte, stellten wir mit Genugtuung fest, dass unsere Abfahrt mit grossem Interesse mitverfolgt worden war. So liessen es sich Sebi und Andy nicht nehmen, sich mutig den sich in der Nähe befindenden „Tribünen“ zu nähern, um einen bescheidenen Beitrag zu unseren Anstrengungen einzukassieren (Seltsam, dass über den Ausgang dieser erfolgsversprechenden Aktion nichts bekannt wurde ?!?).
Die heutige Tour beschlossen wir mit einem steilen Aufstieg, der wiederum die Gedanken um ein kühles Bier zu wecken vermochte.
Die frühe Rückkehr erlaubte uns, Christas Wunsch, mit einem Rettungsschlitten zu Tale zu donnern, gebührend zu erfüllen. Einige hundert Meter oberhalb der Hütte waren einige von uns krampfhaft bemüht, den neuen Rettungsschlitten zusammenzubasteln (es lohnt sich, dies für Ernstfälle geübt zu haben) und nach erfolgreicher Fertigstellung konnte das Vehikel bestiegen werden. Wirklichkeitsgetreu wurde die „Verunglückte“ verschnürt und von Sebi und Andy zu Tale transportiert, und wenn es den Schlittenführern und dem Fahrgast gelungen wäre, noch etwas ernsthaftere Minen aufzusetzen, dann wäre der „Verunglückten“ ein Helikopterrundflug mit einem jungen und attraktiven Piloten, der kurz zuvor gelandet hatte, sicher gewesen……(Die nachträglich zu erwartenden Folgen hätten dem Namen der JO-Mythen ja nur zur Ehre gereicht?!?).
Diesen Abend hatten wir das Vergnügen, unseren gewohnten Führer Toni begrüssen zu dürfen, und wir waren froh, uns nun wieder von ihm führen lassen zu dürfen. Für diesen Tag bleibt noch zu erwähnen, dass Sebi das heutige „Bettmümpfeli“ anscheinend besonders schlecht bekam…….
Mittwoch, 15. April 1980
Obwohl das Wetter stark wechselhaft war, führte uns Toni heute auf nicht weniger als vier Gipfel. Zuerst bestiegen wir das Schwarzhorn und das Rothorn, gefolgt vom Schneehorn. Hier nahmen wir das Mittagsmahl ein und genossen den ersten Gipfelwein, den Andy in verdankenswerter Weise spendiert und auf den Gipfel getragen hatte.
Hell entsetzt und zum Teil arg verwirrt, über ein soo findiges Köpfchen waren wir, als sich unser Genie etwas ganz Besonderes einfallen liess, um seine scheinbaren finanziellen Schwierigkeiten elegant zu überbrücken, um so auch einmal zu einem kühlen Bier zu gelangen. Offenbar zu schüchtern, uns direkt um eine milde Gabe, zur Kostendeckung einer Flasche Bier zu ersuchen, liess er ohne Skrupel seinen eigenen Rucksack auf den 300 Höhenmeter tiefer liegenden Plaine Morte Gletscher rollen, um uns so das Ver-sprechen abzulocken, ihm oben erwähntes Vergnügen zu gewährleisten. Im Gegensatz zu seinen leider erfolglos gebliebenen Flugversuchen, wurde hier seine Findigkeit belohnt: Er genoss eine herrliche Abfahrt und einen noch viel schöneren Aufstieg mit Rucksack…..
Nun gingt es weiter, auf den Wildstrubel, auf welchem wir uns bei dickem Nebel die Hände zu schütteln hatten. Auf der nachfolgenden Abfahrt zeigte sich einmal mehr die erstaunliche Zuverlässigkeit unseres Guides, welcher sich auch im dichten Nebel sehr wohl zurecht fand. Leider enttäuschte heute die Witterung jene, welche sich auf den vorgesehenen Slalom vor der Hütte gefreut hatten. Am Abend zeigte sich deutlich, dass es sich gelohnt hatte, am Sonntag einige Lieder etwas aufzuwärmen, bereitete es doch unseren Tischnachbarn etwelche Mühe, mit unseren virtuosen Stimmen Schritt zu halten.
Donnerstag, 17. April 1980
Nach kurzem Aufstieg gelangten wir bei Nebel und leichtem Schneefall, bald nach dem Abschied von der Lämmerenhütte auf den Roten Totz, wo wir eine fantastische Rundsicht geniessen durften: Berner Oberland bei Nebel! Darauf ging es in nicht mehr so eleganten Schwüngen (Schneeverhältnisse) talwärts und nach kurzem Gegenanstieg zum Gemmipass, wo es die Listigen unter uns nicht verpassten, ihrem Drang nach einem grossen kühlen Bier schneller nachzukommen, indem sie einen unbewachten Skilift in Betrieb zu setzen wussten, um so gemütlich unserer komfortablen Unterkunft entgegen zu rutschen. Zu Andy’s Leidwesen war die Unterkunft sogar mit Duschgelegenheit versehen, und so kam es, dass eine alte Tradition der JO-Mythen zerstört wurde, indem es einige nicht unterlassen konnten, sich schon frühzeitig von ihrem Gestank zu befreien.
Nach reichlichem und gutem Essen genossen wir heute unseren letzten Abend, denn durch die mangelhafte Witterung sahen sich unsere Führer gezwungen, unser Programm derart umzugestalten, dass wir statt das Rinderhorn zu besteigen, schon am Freitag direkt die Heimreise antreten würden.
Freitag, 18. April 1980
Wiederum wurde heute zum Frühstück gediegen getafelt, was uns sicher zu bewegen vermöchte, dem Gemmipass wieder einmal einen Besuch abzustatten. So wanderten wir kurz darauf wohl gesättigt über den Daubensee nach Schwarzenbach, wo Andy, wie schon auf dem Bahnhof unserer Bundeshauptstadt, in freundschaftlichster Gesinnung durch einen „Pfupf“, für uns stellvertretend, den Leuten einen Gruss abstattete, respektive ihnen einen tüchtigen Schrecken in die Glieder jagte, und weiter nach Sunnbühl, wo wir zum letzten Mal unsere Bretter festschnallten, um in steiler Abfahrt nach Kandersteg zu gelangen.
Auf der Bahnfahrt nach Bern hatten wir Gelegenheit, einigen unnatürlich entfremdeten Elementen unserer Gesellschaft, durch unsere bodenständige Natürlichkeit als gutes Beispiel entgegen zu treten. Mit derselben Eigenschaft vermochten wir auf dem Bahnhof Bern wiederum aller Blicke auf uns zu lenken und so zur allgemeinen Erheiterung beizutragen. Durch die Weiterfahrt durch das malerische Emmental und Entlebuch gelangten wir nach Luzern und kurz darauf nach Goldau, wo wir uns verabschiedeten.
Auf gebührende Art und Weise wurde die diesjährige Wintertourenwoche am selben Abend in Christas Wohnung bei Kaffee und Kuchen abgeschlossen, was wir Christa herzlich verdanken. Zudem hoffen wir, dass diese gemütliche Abschiedsfeier in der JO-Mythen bald zur Tradition wird.